In den vergangenen Tagen waren wir in der Champagne unterwegs. Nach einer Vorverkostung einiger hervorragender Weine von Alfred Gratien mussten wir unbedingt in diesem kleineren Champagnerhaus in Eperny vorbeischauen. Schon wenn man die Gebäude von außen betrachtet sieht man: Hier wird wirklich am Produkt gearbeitet. Einen bunten Show-Room sucht man deswegen vergebens. Da genug inhaltliche Substanz vorhanden ist, fehlt er aber auch nicht.
Zu Gast in der Champagne bei Alfred Gratien
Die Besichtigung beginnt im Fasskeller. Alle Weine von Alfred Gratien werden auf traditionelle Weise vollständig im Fass ausgebaut. Das erfordert wesentlich mehr Arbeit als im Edelstahltank. Alle zwei Wochen wird jedes einzelne Holzfass vom Kellermeister Nicolas Jaeger und seinen sechs Mitarbeitern auf den Inhalt kontrolliert. Fehlentwicklungen können so früh erkannt werden. Auch der natürliche Schwund muss regelmäßig aufgefüllt werden. Wenn man andere Erzeuger gesehen hat, erkennt man: Kaum ein anderes Champagnerhaus leistet sich so viel Handarbeit.
Alfred Gratien gehört zur Kategorie der Negociant-Manipultant. Auf jeder Champagner-Flasche steht deswegen neben vielen anderen Zahlen das Kürzel NM. Darunter ist ein Champagnerhaus zu verstehen, welches die verarbeiteten Trauben größtenteils zukauft. Fast alle großen und bekannten Champagnermarken fallen in diese Kategorie. Man ist von der Betriebsform her in der Gesellschaft von Bollinger, Vranken-Pommery, Pol Roger, Lanson, Taittinger, Piper-Heidsieck, Veuve Clicquot und vieler anderer bekannte Erzeuger. Doch man findet zahlreiche Unterschiede zwischen den Champagnern von Alfred Gratien und denen der häufig bunter Marken.
Qualität der Trauben
Neben dem Zukauf von Trauben hat das Champagnerhaus Gratien vor ca. 10 Jahren 1,63 Hektar eigene Rebfläche erworben. Diese werden traditionell bewirtschaftet. Der Erwerb war aus heutiger Sicht eine lohnende Investition. So gab es bis jetzt eine Preissteigerung der Rebfläche um ungefähr die Hälfte des damaligen Kaufpreises. Darüber hinaus wird Alfred Gratien von ca. 60 Anbaubetrieben beliefert. Die Trauben kommen aus den aus den drei Regionen Montagne de Reims, Vallee de Marne und Cote des Blance. Lediglich aus dem südlichen gelegenen Cote des Bar bezieht man keine Trauben. Der Weg bis nach Epernay ist zu weit.
Zu den Traubenanbauern bestehen häufig sehr lange und freundschaftliche Beziehungen. Kellermeister Nicolas Jaeger berichtet, dass er von einigen der Anbauern trotz seiner wesentlich geringen Abnahmemenge gegenüber den großen Produzenten sehr gerne beliefert wird. Insgesamt werden zwar ca. 180 Marc pro Jahr verarbeitet, für den einzelnen Lieferanten ist es manchmal jedoch nur ein Marc. Diese ca. 4.000 Kilogramm Trauben sind das Fassungsvermögen einer traditionellen Presse in der Champagne. Dadurch wurde es auch zum Handelsmaß zwischen Traubenanbauern und den Champagnerhäusern.
Im Fasskeller in Eperny
Bei Alfred Gratien werden diese Grundweine in gebrauchten Holzfässern je nach Cru und Lieferanten getrennt ausgebaut. Nach der ersten Gärung könnte man im Prinzip für jeden Traubenproduzenten seinen eigenen Champagner erzeugen. Wenn die Erzeuger der Trauben bei Alfred Gratien in Eperny vorbei kommen, freuen sie sich ihre Grundweine probieren zu können. Das ist eigentlich nicht üblich. Zugleich ist das für das Champagnerhaus ein sehr sympathisches Instrument zur Qualitätssicherung. Dabei entsteht zum einen so eine Art personalisierter Keller. Zugleich kommt eine Gang durch die Reihen von Fässern im Keller von Alfred Gratien einer Wanderung durch die Champagne gleich.
Die verwendeten Fässer haben jedoch eine andere Geschichte. Sie stammen aus dem Burgund. Die bei Alfred Gratien im Einsatz befindlichen Holzfässer bestehen aus französischer Eiche und waren zuvor ca. 4 Jahre schon im Einsatz. Kellermeister Nicolas Jaeger legt großen Wert darauf, dass kein Holzton im Champagner entsteht. Die ca. 1.000 Holzfässer bleiben dann bei Alfred Gratien 15 bis 20 Jahre im Einsatz. Nach jeder Verwendung müssen sie in 10 Schritten aufwendig gereinigt werden.
Grundweinprobe bei Alfred Gratien
Doch probieren wir etwas von den aktuellen Grundweinen. Man kann hierbei schnell verstehen, wieso es lange Zeit dauert bis er die Verantwortung übertragen bekommt. Es ist üblich, dass ein Kellermeister in der Champagne 20 Jahre mit seinem Vorgänger zusammenarbeitet. Nicolas Jaeger hat sein Können von seinem Vater beigebracht bekommen. Er ist damit die vierte Generation in der Familie, die bei Alfred Gratien tätig ist. Die leicht trüben Grundweine duften derzeit sehr schön fruchtig. Vor allem der Chardonnay tut sich hier hervor. Die mineralische Säure ist aber extrem kräftig. Ein Grundwein aus einer der besten Cru-Lagen bleibt regelrecht trocken und kreidig am Gaumen stehen.
Auffällig ist die sehr frische Säure bei Alfred Gratien so wird hier vollständig auf die sonnst in der Champagne sehr verbreitete malolaktische Gärung verzichtet. Dies soll die Frische der Weine erhalten. Das hat in diesem Haus auch Tradition. Es gibt nur wenig, was man hier in den letzten Jahrzehnten geändert hat. Dazu gehört allerdings das Verfahren der Klärung der Grundweine. Der Großvater von Nicolas Jaeger hatte früher in seiner Zeit als Kellermeister jeweils drei Eiweiß pro Fass aufgeschlagen. Dies hat alles was nicht mehr im Champagner sein sollte gebunden und hat sich am Boden des Fasses abgesetzt.
Grundweinprobe
Doch zurück zu den Grundweinen: Für Außenstehende scheint es bei solch einer Probe in der Champagne nur eine Regel zu geben. Je extremer und auch negativ auffälliger diese Weine scheinen, umso hochwertiger sind sie für die Kenner und Kellermeister. Auch den Pinot Noir aus den Fässern von Alfred Gratien probieren wir. Es ist gut, dass noch so einiges passiert, bis die Champagnertrinker das fertige Produkt genießen können.
Derzeit weiß auch Kellermeister Nicolas Jaeger noch nicht genau, wie er die Grundweine verwenden wird. Er wird immer wieder probieren. Ab Februar wird er dann einige erste Testassamblages erstellen. Für die richtige Assambalge für die Champagner von Alfred Gratien kommt dann erstmals ein Edelstahltank zum Einsatz. Aus den einzelnen Fässern müssen die Komponenten für die Champagner vorsichtig ausgepumpt werden. Alles was sich unten abgesetzt hat, soll auch dort bleiben.
Für das Champagnerhaus Alfred Gratien gibt es noch einer zweite Verwendungen von Edelstahltanks. Neben der Mischung der endgültige Assamblage der Champagner dienen sie auch zur Aufbewahrung der Reserveweine. In der Champagne ist jeder Erzeuger verpflichtet in erntereichen Jahren festgelegte Mengen von den Grundweinen zurückzuhalten. Das ist ein intelligentes System der Anbauregion negative Preisentwicklungen zu verhindern. Gerade solche kleinen Stellschrauben machen den historischen Erfolg der Region Champagne aus.
Einige Champagnerhäuser, wie zum Beispiel Roederer nutzen diesen auferlegten Zwang gegenüber einem einzelnen Erzeuger dauerhaft um besonders alte Reserveweine dem jungen Champagner hinzuzufügen. Bei anderen Häusern lagert man kürzer und versucht eher Jahre mit kurzer Vegetationsperiode mit denen besonders reifer Trauben auszugleichen. Dort gelingen die Champagner nach wechselnden Jahren häufig besser als gewöhnlich. Bei Alfred Gratien verfolgt man aber keine dieser Strategien. Vielmehr möchte man die Reserveweine jung halten. Denn hier reift der Champagner in der Flasche und wird nicht im Tank alt.
Die Geschichte des Hauses Alfred Gratien
In den bald 150 Jahren Geschichte vom Champagnerhaus Alfred Gratien hat sich kaum etwas geändert. Die Anfangsjahre waren sicherlich bewegt. Das Haus wurde von Alfred Gratien 1864 gegründet. Zehn Jahre später gesellt sich der aus dem Elsass kommende Albert Jean Meyer hinzu. Daher entstand auch der Name des Ablegers an der Loire Gratien&Mayer. Da Alfred Gratien recht früh 1885 verstarb und in der Familie Meyer nur eine Tochter hatte, änderte sich der Name der Inhaber durch Heirat in Seydoux. Diese hatten schon die Jaegers als Kellermeister eingestellt.
Vor zehn Jahren gab es bei Alfred Gratien dann einen wirklichen Inhaberwechsel. Der lange Familienbesitz der Seydoux drohte auf 12 Erben aufgeteilt zu werden. So entschloss man sich zu einem Verkauf an das deutsche Sekthaus Henkell. Dies hat jedoch viele Vorteile mit sich gebracht, kann Nicolas Jaeger berichten. Er hat die Hälfte seiner Zeit auch beim Vorgänger gearbeitet hat. Mit Henkell hat man in die Anlagen investieren können. Zudem konnten die schon erwähnten 1,6 Hektar eigene Weinbergsfläche gekauft werden. Auch die Etiketten der Flaschen hat man neu gestaltet. Ihr Inhalt und die traditionelle Erzeugung des Champagners sind jedoch geblieben.
Im Keller
Weiter geht es in den Keller von Alfred Gratien. Der Fahrstuhl bringt uns 16 Meter unter Epernay. Er wurde 1861 unter dem Hauptsitz angelegt. Im unteren Keller befindet sich das Flaschenlager. Bei einer Jahreserzeugung von bis zu 250.000 Flaschen liegen hier erstaunlicher Weise rund 1,5 Millionen Flaschen. In einer mittleren Etage befindet sich die Station zum degogieren. Wenn man die riesigen Gewölbe von der Loire kennt, wirkt dieser Flaschenkeller auf den ersten Blick trotz der vielen Flaschen etwas übersichtlich. Aber das Kreidegestein unter Epernay ist auch wesentlich härter als Tuffstein.
Eine Besonderheit bei Alfred Gratien ist die Länge der Flaschenlagerung. So wird hier der normale Brut zweieinhalb bis drei Jahre senkrecht stehen gelassen. Beim Jahrgangschampagner sind es sogar 8 bis 10 Jahre. Gesetzlich ist nur eine Reifezeit von drei Jahren vorgeschrieben. Aktuell wird der Jahrgangchampagner aus 1999 verkauft. Bei anderen großen und bedeutenden Häusern ist selbst das absolute Spitzenprodukt aus dem Jahr 2004 bereits im Handel. Von jedem Jahrgang werden bei Alfred Gratien auch noch mal 3.000 Flaschen zurückgehalten, die dann gezielt zu bestimmten Jubiläen oder ähnlichem eingesetzt werden können.
Die lange Reifezeit auf der Hefe bei Alfred Gratien erhöht die Qualität und zugleich kann man die Flaschen auch noch länger ohne merklichen Qualitätsverlust weiter lagern. Der Verzicht auf die malolaktische Gärung trägt zur Langlebigkeit und dem Erhalt der Frische bei. Die Flaschen der Jahrgangschampagner im Keller von Alfred Gratien sehen auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich aus. So verschließt man alle gehobenen Qualitäten für die Flaschenlagerung nicht mit einem Kronkorken, sondern mit Naturkorken der von einer Metallklammer gehalten wird.
Kellermeister Nicolas Jaeger berichtet, dass man vor einiger Zeit bei einem Jahrgang beide Verschlussarten mal parallel getestet hat. Die Qualität sei mit dem Naturkorken wesentlich besser gewesen. Bei so einer langen Flaschenlagerung ist ein deutlicher Unterschied zu erwarten. Dieser Verschluss wird sonst im Bereich der Champagnerhäuser nur noch von Bollinger für die besten Schaumweine eingesetzt.
Verkostung der Champagner von Alfred Gratien
Kommen wir zur Verkostung der Champagner von Alfred Gratien. Das Sortiment ist überschaubar. Den normalen Brut und der Brut Rose haben wir schon hier vorgestellt. Dieser hat zwar keinen Jahrgang gekennzeichnet, es wurden jedoch Grundweine aus 2008 und Reserveweine aus 2007 verwendet. Recht neu wird bei Alfred Gratien auch ein Brut Nature Champagner erzeugt. Dieser Schaumwein mit Zero Dosage ist jedoch nur für einen speziellen Händler gedacht.
Insgesamt werden bei Alfred Gratien Trauben zu 60% Chardonnay, und jeweils 20% Pinot Noir und Pinot Meunier verwendet. Der Chardonnay kommt fast vollständig aus Grand Cru Lagen. Aus ihnen entsteht auch der Blanc de Blanc. Häufig werden in ihm Grundweine aus 5 unterschiedlichen Grand Crus verwendet. Manchmal sind es aber auch nur vier Lagen. Mit dem Bilden dieser Assamblage wird einerseits Charakterstärke und zugleich Ausgewogenheit im Champagner erzeugt.
Spitzencuevees
Der aktuelle Blanc de Blanc kommt aus dem Jahr 2005. Er ist sehr schön frisch, finessenreich und lang anhaltend. Erstmals gibt es ihn aus dem Jahrgang 2001. Entwickelt wurde der Blanc de Blanc auf Anfrage der British Wine Society. Diese ist seit 1906 Kunde bei Alfred Gratien. Auch ein weiterer Champagner aus der gehobenen Line Cuvee Paradies hat etwas mit Großbritannien zu tun. So wurde er früher in der Concorde der British Airways angeboten. In der Lufthansa First Class gab es ihn ebenso einige Zeit.
Es ist kein Wunder, dass das Cuvee Paradies von Alfred Gratien auch über den Wolken schmeckt. Der weiße der beiden Champagner ist wesentlich voller in der Frucht und körperlicher und extrem rund. In der Nase hat man Honig, reife Blüten und Brioche. Zwar ist das Cuvee Paradies auch frisch, die Säure scheint hier jedoch sehr gut eingebunden zu sein. Aktuell sind hier Trauben aus 2005 verwendet. Das weiße Cuvee besteht aus 65% Chardonnay und dem Rest Pinot Noir. Auch das Cuvee Paradis ist bei Alfred Gratien gar nicht so als. Dies gab es erstmals 1991. Entwickelt wurde es, da ein Prestigeprodukt fehlte. Zuvor hatte man nur drei Champagner.
An der Spitze der Champagner bei Alfed Gratien steht der Jahrgang. Wir haben das Vergnügen den aktuell auf dem Markt befindlichen 1999er neben den 2000er zu probieren. Dabei wirkt der 1999er etwas leichter. Wenn man jedoch zu dem normalen Brut zurückverkostet, merkt man wie komplex dieser ist. Bei den Jahrgängen wird für Außenstehende etwas erstaunlich sein, wie nach so langer Reife es sich um sehr frisch prickelnde Champagner handelt.
Der 1999er von Alfred Gratien macht richtig Spaß. Auf den Jahrgang 2000 von diesem Champagnerhaus kann man sich jetzt schon so richtig freuen. Neben hellen Früchten ist dieser etwas rauchig in der Nase. Der Gaumen ist voller als bei dem 1999er und sehr stimmig. Später öffnet sich der Jahrgangschampagner von Alfred Gratien. Es zeigen sich Röstaromen, Schwarzbrot bis hin zu Kaffee in der Nase. Kellermeister Nicolas Jaeger empfiehlt diesen Jahrgang 2000 als Begleitung zu gebratenem Fasan.
Vielfalt der Stilistik
Auch nach längerer Verkostung mehrerer Gläser neben einander werden die Champagner nicht müde. Vielmehr zeigt sich eine beständige Perlage. Jeder der Champagner von Alfred Gratien überzeugt in seiner jeweiligen Stilistik in seiner Kategorie. Für verschiedene Anlässe oder Vorlieben findet man in diesem Haus einen passenden Schaumwein. Die hohe Qualität der Champagner ist das Ergebnis präziser Arbeit und viel Erfahrung. Alfred Gratien ist jenseits der Moden langfristig orientiert. So liegt im Verkostungsraum ein Heft, in dem die Besonderheiten des Wetterverlaufs, der Ernte und dem Zustand der Trauben festgehalten ist. Es reicht bis ins Jahr 1948 zurück.
Keine Ahnung, ob die Champagne der bunten Marken und Models einmal in eine Identitätskrise kommen wird. Alfred Gratien hat jedenfalls schon die Antwort. Diese besteht aus handwerklicher Qualität. Beim Traditionshaus Alfred Gratien ist mit Nicolas Jaeger die vierte Generation im Keller tätig. Ob der Staffelstab in der Familie weitergegeben wird, ist noch ungewiss. Seine Tochter ist jetzt 12 Jahre alt und hat sich im Berufswunsch noch nicht festgelegt. In Deutschland wollen in dem Alter viele Mädchen Prinzessin werden. Es kann aber durchaus sein, dass sie den Beruf als Kellermeisterin wesentlich spannender findet.
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