Langsam wird es unglaublich. Eigentlich war zu vermuten, dass das nun zur Serie gewordene Phänomen schon nach dem ersten Bericht erledigt ist. In Teil 1 ging es um einen Text aus Wikipedia, der ohne Quellenangabe in einem Prospekt von REWE auftauchte. Teil 2 beschäftigte sich mit zwei Rezepten aus dem Internet, die eine Woche später in diesem Prospekt abgedruckt wurden. Wieder ohne Quellenangabe und ohne Genehmigung durch die Urheber. Vor allem nachdem nicht nur viele Blogs (wie zuletzt hyperkontext und der werbeblogger), sondern auch die Süddeutsche Zeitung (nebst ihrer Printausgabe vom 3. Dezember, S. 13) mit Bezug auf diesen Blog über den Textklau bei REWE berichteten, war zu vermuten, dass diese Praxis eingestellt wird. Doch weit gefehlt. Er geht munter weiter.
Es liegt das aktuelle Werbeprospekt von REWE aus der Kalenderwoche 49 vor. Dort wird sich gleich sechs Texte von einer Homepage über Weihnachten bedient. Weihnachten? Da dachten sich die Verantwortlichen der Erstellung dieses Prospektes: Da gibt’s Geschenke und die muss man nicht bezahlen. Sie surften – so ist zu vermuten – etwas nach Texten über Weihnachten in anderen europäischen Ländern und druckten sie ohne Quellenangabe oder Honorar an die Autorin ab. Dabei handelt es sich um Cornelia Kiaupa, die die Webseite bookanddrink.com betreibt. Sie erklärte gegenüber diesem Blog, die Texte zu 100% selbst recherchiert und geschrieben zu haben.
Auf der Homepage booksanddrinks.com sind 24 lesenswerte Texte über die Weihnachtsbräuche in verschieden Ländern versammelt. Von REWE wurden sechs Texte davon wie in den anderen Fällen wieder ohne Quellenangabe oder Honorar an die Autoren abgedruckt. Hier sind im Folgenden drei Beispiele ausgewählt um einen Eindruck zu gewinnen was hier passiert ist.
Beispiel 1: Italien
Das steht bei REWE:
So ist es seit ca. zwei Jahren bei bookanddrink.com nachzulesen:
“Den Kindern in Italien bringt nicht der Weihnachtsmann die Geschenke, sondern eine liebe Hexe. “La Befana” fliegt auf ihrem Besen von Haus zu Haus, klettert durch den Schornstein und legt den artigen Kindern Geschenke in die aufgehängten Strümpfe oder am Kamin stehenden Schuhe. … Und “La Befana” kommt nicht am 24. Dezember, sondern erst am 6. Januar. …
Aber der 6. Januar ist nur der Höhepunkt einer fröhlichen und geheimnisvollen Weihnachtszeit in Italien. überall im Land gibt es im Dezember Weihnachtsmärkte, am 6. Dezember hängt San Nicola seine Gaben an die Schlafzimmertüren, am 13. Dezember gibt es für die Kinder kleine Geschenke von der Lichterkönigin. …”
Beispiel 2: Niederlande
Das steht bei REWE:
So ist es seit ca. zwei Jahren bei bookanddrink.com nachzulesen:
“Was den Deutschen der Weihnachtsmann an Heiligabend, ist den Niederländern Sinterklaas, der Niederlandenbegleitet von Swarte Piete durch die Lande reitet und Geschenke und Süßigkeiten durch den Schornstein wirft.
Um den Sinterklaas gnädig zu stimmen, stellen die Kinder für sein Pferd Wasser, Heu und eine Mohrrübe bereit.
Die Geschenke vom Sinterklaas gibt es schon am 5. Dezember. Traditionell liegt jedem Geschenk ein Nikolausgedicht bei, das den Empfänger ein wenig auf die Schippe nimmt. …”
Beispiel 3: Spanien
Das steht bei REWE:
So ist es seit ca. zwei Jahren bei bookanddrink.com nachzulesen:
“Bei den Spaniern geht das Weihnachtsfest erst richtig los, wenn unser Heiligabend vorbei ist. Vom 25. Dezember bis 6. Januar ist Feiern angesagt!
Ein traditioneller weihnachtlicher Brauch in Spanien ist die Erscheinung des Köhlers (Olentzero), der aus den Bergen kommt und auf den Schultern durchs Dorf getragen wird.
Am 28. Dezember, dem Tag der unschuldigen Kinder, wird man ähnlich wie in Deutschland am ersten April aufs Glatteis geführt und muß schon aufpassen, daß man sich keinen Bären aufbinden läßt.
Vom 30.12. bis 1.1. feiert man die “Fiesta de la Coretta”. In dieser Zeit wird eine geschmückte Kiefer gesegnet. …”
In den drei Beispielen sind genauso wie in den anderen drei Fällen nur Kleinigkeiten an den Texten verändert worden. Größenteils sind Sätze vollständig kopiert worden. Die Eigenleistung von REWE ist als sehr gering zu bewerten.
Die ganze Geschichte ist in einigen Hinsichten nicht nachvollziehbar. Ist einem Unternehmen der mit Werbemillionen erkaufte gute Ruf nicht teuer genug, um ihn mit solchen billigen Geschichten zu ramponieren? Und wieso stellt man eine Praxis der Beziehung von Texten nicht auf eine Honorarbasis um, wenn man doch merkt, dass alles andere – zu recht sei hier bemerkt – eine schlechte Presse bringt? Das sind Fragen, die ich den Verantwortlichen gar nicht mehr stelle. Eine Antwort ist von dort ohnehin nicht zu erwarten. Vielmehr wird der Konflikt totgeschwiegen (wie auch hier im Blog des Handelsblatt nachzulesen ist). Ein solches Vorgehen hat sich auch in anderen Fällen schon als sehr schlechtes Krisenmanagement erwiesen. Eine schlüssige Erklärung oder zumindest eine Zusicherung darüber, zukünftig die Texte selbst zu schreiben, würde das Problem entschärfen. Wir bleiben an der Geschichte dran.
P.S.: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich alles dass, was in dem REWE-Supermarkt um die Ecke aufgebaut ist, nicht auch einfach alles als Geschenk begreifen sollte (ob nun zu Weihnachten oder irgendeinem anderen Anlass). Nein, ich will hier nicht zum Ladendiebstahl aufrufen. Aber es ist kurios, dass ein Unternehmen, deren Geschäftsbasis darin besteht, das jedes Produkt und jede Dienstleistung einen Preis hat, der in klingender Münze zu bezahlen ist, einfach im Internet auf Raubtour geht.
Das ist ja ein starke Stück. Sie nutzen also nicht nur die Mitarbeiter aus, sondern treiben auch noch so etwas. Jetzt weiß ich dass es genu richtig war REWE vollständig den Rücken zu kehren.
Gruß,
Jens
@Niffchen:
Wie REWE mit seinen Mitarbeitern umgeht, ist mir nicht bekannt und das ist auch nicht Thema der Texte. Eine Basis darüber zu berichten, ist von meiner Seite nicht gegeben. Aber evtl. hast Du mehr Informationen zu dem Thema. Ich möchte auch keineswegs dazu aufrufen diese Läden zu boykottieren. Lediglich wird hier gefragt, wie mit dem Urheberrecht von Texten aus dem Internet umgegangen wird.
Gruß Thomas
Gut recherchiert! Die Praxis von REWE kann man wirklich nur als Aufruf zur Selbstbedienung verstehen. Was irgendwo rumliegt kann kostenlos mitnehmen, ob im Internet oder im Einkaufsnetz. Wer so mit anderer Leute (geistigem) Eigentum umgeht, hätte es wirklich nicht anders verdient, als beklaut zu werden.
DISCLAIMER: Bitte nicht ernst nehmen! Was böse Konzerne mit Milliardenumsätzen machen, dürfen Normalverbraucher noch lange nicht!
@ Florian:
Danke!
Nun will ich hier nicht zum Ladendiebstahl aufrufen. Das Gegenteil ist bezweckt. Es geht mir im Kern darum, dass Eigentum geschützt wird. Und zwar digitales Eigentum. Und nur weil man Texte aus dem Internet mit zwei Mausklicks kopieren kann, hießt das noch lange nicht, dass dies in Ordnung ist. Da wird die Möglichkeit zum Diebstahl mit einer Gerechtfertigkeit von ihm verwechselt.
Ich habe natürlich überhaupt kein Verständnis dafür, dass Teile, der von mir für den Weihnachtskalender 2005 des virtuellen Buchcafes “Book and Drink” erstellten Seiten über die Weihnachtstraditionen in allen EU-Ländern ohne mein Einverständnis “ausgeliehen” wurden, danke Herrn Günther für den Hinweis und werde die Sache weiter verfolgen.
Vorweihnachtliche Grüsse aus Finnland
Cornelia Kiaupa
Wenigstens kann die Autorin — Dank Deiner Aufdeckung – jetzt eine dicke Rechnung stellen und REWE hat kaum die Möglichkeit diese abzulehnen. Der Fall ist ja nun offensichtlich. Werbetexte werden darüber hinaus meist höher bezahlt als journalistische und für die Verwendung, ohne beim Urheber nachzufragen, kann dieser nochmal was drauf schlagen. Das ist doch auch ein dickes Weihnachtsgeschenk 🙂
REWE wird wohl nur reagieren, wenn demnächst ein paar Anwälte die Honorare nachträglich eintreiben. Es muss auch richtig teuer werden, sonst ändert sich möglicherweise nichts an der Klau-Mentalität. Schlimmer noch, dann könnten andere auf die Idee kommen es REWE gleichzutun … also unbedingt wehren!
Es ist mehr als erstaunlich, was sich vor allem große Firmen urheberrechtlich erlauben. Jedes Angebot wird gedrückt (wozu macht man überhaupt noch ein Angebot), Nutzungsrechte sind dienen nur dem Ego des Texters und insgesamt sind die Kreativen ja sowas von überbezahlt.
Da der Textklau in diesem Falle sehr offensichtlich ist dazu ein kurzer Beitrag ab wann Textdiebstahl relevant wird: http://www.taz.de/1/leben/medien/artikel/1/wer-hat-das-wort/?src=SZ&cHash=e81e692e5d
Zitat: “Simon Bergmann, der den Perlentaucher vertritt, sagt: “Worte gehören niemandem.” Ungeklärt sei: “Wie viele Worte muss ich übernehmen, um die Urheberrechte anderer zu verletzen?” Jedes Gericht werde hier seine eigenen Maßstäbe anlegen, sagt Bullinger. Doch Maßstäbe gebe es durchaus: “Es kommt nicht darauf an, was zwei Werke unterscheidet, sondern, worin sie übereinstimmen.”
Im oben aufgeführten Fall stimmt vieles überein. Pfui!
@ Jana Kupfer:
Der Fall von Perlentaucher liegt etwas milder. Dort wird ja zitiert. Im Prospekt von REWE handelt es sich jedoch nicht um Zitate. Daher geht es auch nicht um irgendeine Länge eines Zitats. Vielmehr ist die so genannte Schöpfungshöhe entscheidend. Es geht also darum, ob das kopierte Werk originell ist. Ich sehe die Schöpfungshöhe bei den Weinachtsgeshichten gegeben. Gerichte sind sich jedoch uneins, wo dort die Grenzen sind.
Dies ist Teil der juristischen Situation. Viel wichtiger halte ich jedoch die moralische Ebene. Und da ist eine solche Geschichte für ein großes Unternehmen einfach nur peinlich. Das gilt gerade wenn man sich die Relation von Werbekosten im bundesweiten Fernsehen mit einem Autorengehalt für Werbetexte vergleicht. Ich denke mir, dass in der zweiten Kategorie das Geld in diesem Fall besser investiert gewesen wäre.
Leider hat sich REWE bei Fall Nr. 2 auch nicht gemeldet; es hätte ja überraschenderweise sein können, dass REWE diese Texte vielleicht gekauft hat – nur nicht von mir! :-/
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