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Was ist ein Naturwein?

naturwein Nicht ganz zufällig taucht derzeit eine Diskussion um Naturwein auf. Vor genau 100 Jahren wurde der Verband Deutscher Naturweinversteigerer (VDNV) als Zusammenschluss von vier Weinbauvereinigungen gegründet. Ziel war die bessere Vermarktung von “naturreinen” Weinen. Dabei sollte auf die Zuzuckerung und Verschnitt verzichtet werden. Zudem sollte der Zusammenschluss dazu führen, dass die Naturweinversteigerer verschiedener Regionen sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen und der Weinverkauf aus eigenem Wachstum stammt. Seit 1971 ist der VDP (Verband Deutscher Prädikatsweingüter) Nachfolger des VDNV.

Eine lange Begriffsbestimmung

Doch zuvor wurde der Begriff des Naturweins 1930 im deutschen Weingesetz festgeschrieben. Dort wurde er als “Wein, dem irgendwelche andere Stoffe, als sie zur Kellerbehandlung notwendig sind, nicht zugesetzt worden sind” beschrieben. Doch was ist notwendig und was nicht? 1969/1971 wurde der Naturwein durch den Prädikatswein ersetzt. Auch heute wird der Begriff manchmal benutzt. Wenn auch nicht als offizielle Bezeichnung von Weinen. Dabei scheint er aber nur wenig zur Erhellung einer Debatte beizutragen. Vielmehr kann er auch zwischen Biowein, Ökowein, biologisch-dynamisch erzeugtem Wein für noch mehr Verwirrung sorgen.

Der Vorsitzende des VDP Rheinhessen Philipp Wittmann beschreibt hier zitiert Naturwein heute so:

“Ich finde, dass NATURWEIN heute nicht mehr mit der Definition von vor 1971 gleichzusetzen ist, dafür hat sich einfach viel zu viel verändert in der Weinwelt, bzw ist die industrielle Produktion eben wahnsinnig fortgeschritten. NATURWEIN ist für mich heute unter kontrolliert biologischen oder biodynamischen Gesichtspunkten erzeugt, natürlicher Anbau im Weinberg und natürlicher Ausbau im Keller sind hierfür die Grundlage, Verzicht auf jegliche chemisch – synthetischen Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger gehören genauso dazu, wie der Verzicht auf die Chaptalisierung und dem Zusatz synthetischer Schönungsmittel.”

Zugleich weist der Naturweingedanke auf ein bisheriges Problem der EU-Gesetzgebung zur biologischen Erzeugung von Wein hin. So beschränkt sich diese derzeit noch auf den Anbau. Man spricht deswegen auch von Wein aus biologischem Anbau. Der Keller ist dabei nicht geregelt. Wie sieht es z.B. mit den Hefen aus? Was ist mit der Schönung? Und was mit Schwefel? Hier geht der Naturwein theoretisch weiter. Zugleich bringt er aber auch ein grundsätzliches Problem mit sich: Wein ist immer ein Produkt menschlicher Kultivierung und Bearbeitung von Natur. Von daher bleibt die Frage offen: Was ist Naturwein?

Nachtrag am Vorabend zur zweiten WeinRallye mit dem Thema Naturwein

Einige Dinge haben sich im Themengebiet Naturwein verändert. Mit den Orange Wines ist es noch etwas komplizierter geworden. Zudem gibt es durch die EU bald die Möglichkeit Bioweine mit diesem Begriff zu kennzeichnen. Die Formulierung “Wein aus Trauben aus biologischem Anbau” wird dann ersetzt. Über diese Regelung kann man lange streiten. Gerade bei den Details. Und so gewinnt der Begriff Naturwein einen neuen Reiz: Er ist ungeregelt und dadurch so schön schwammig wie das Thema selbst. Bei dem Begriff kann man sich in keine falsche Gewissheit verrennen.

5 Gedanken zu „Was ist ein Naturwein?“

  1. Ich zerbreche mir auch schon die ganze Zeit den Kopf über eine zeitgemäße Definition des Begriffs Naturwein.

    Zu dem Zitat von Philipp Wittmann stellt sich mir eine Frage: Naturwein ohne chemische und synthetische Zusätze oder Behandlungsstoffe ist ja klar, aber was ist gerade an der Chaptalisierung nicht natürlich?

    Oder definiert man den Begriff heute eher als naturbelassen…?

  2. die frage ist ob rübenzucker im wein etwas zu suchen hat.
    es sind eu-regelungen bezüglich kellerwirtschaft in ausarbeitung. leider streiten die deutschen/österreicher gegen die italiener/franzosen bezüglich schwefel und so weiter.

    demeter hat auch keller richtlinien!

    nichts desto trotz muss man beim begriff naturwein aufpassen – heut zu tage ist schon alles grün/öko/natur.
    es bleibt alles am vertrauen zum winzer hängen.

    viele bio-dynamiker zb. sind im keller bio-techniker…

    authentizität ist nach wie vor mangelware

  3. Pingback: Naturwein in der Diskussion

  4. Pingback: Naturwein – Versuch einer Annäherung | Baccantus

  5. Ein sehr gelungener Eintrag. Ich würde noch ergänzen, dass der Wunsch nach “Naturwein” gestern wie heute primär eine Reaktion auf die Industrialisierung der Produktion und – auf Seiten der Nachfrage – dem Wunsch nach Authentizität in der “entfremdeten” Stadt entsprang. Naturwein ist ein Wein der urbanen Mittel- und Oberschicht. Der Blick auf die Industrialisierung der Produktion im ausgehenden 19. Jahrhundert hilft dabei zu verstehen, wieso auch ein “natürliches” Verfahren wie die Chaptalisation seitdem kulturell geächtet wird: weil dieses Verfahren eben verwendet wurde, um Weine ihres “natürlichen” Ausdrucks zu berauben (in D z.B.: Liebfrauenmilch), um sie gefällig zu standardisieren. Der eigentliche Grund, warum der Begriff Naturwein vom Weingesetz verboten wurde, liegt einerseits darin, dass unter den Wettbewerbsbedingungen der späten 50er Jahre selbst beim qualitätsbewussten VDNV einzelne Abweichler tricksten (und der VDNV konnte das nicht effektiv eingrenzen); andererseits sah der Gesetzgeber eine potentielle Irreführung darin, den geschwefelten Wein als Naturwein durchgehen zu lassen, es gab aber um 1970 rum keinen ungeschwefelten Wein, selbst beim VDNV nicht. Da bisher der VDNV den Naturweinbegriff auf eine spezifische Weise prägte, war eigentlich nur logisch, dass sowohl der Verband als auch der Begriff in Vergessenheit gerieten. Vielleicht ist das ja eine weitere Erklärung dafür, warum sich heute wieder mehr Leute den Kopf über ihn zerbrechen aber einfach nicht mehr so richtig wissen was dieser bedeutet 😉

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